Der 6. November 2024 war ein denkwürdiger Tag: Während ganz Deutschland noch schockiert auf das erdrutschartige Wahlergebnis pro Trump in den USA blickt, bricht am Abend die deutsche Regierung unter dramatischen Umständen auseinander. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bittet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Christian Lindner (FDP) als Finanzminister zu entlassen. Damit ist die Ampel-Koalition Geschichte. Dennoch hat Lindner weiter große Pläne.
Politischer Paukenschlag im Schatten der US-Wahl
Das Aus der Koalition in Berlin kam nicht überraschend, schon länger kriselte es heftig. Als Grund für ihren Rücktritt hatte Ricarda Lang bereits auf die Probleme verwiesen. Doch der Zeitpunkt der Eskalation kommt für die Öffentlichkeit unerwartet.
In einem verzweifelten Versuch, die wackelige Ampel-Koalition zu stabilisieren, hatte Scholz gefordert, die Schuldenbremse temporär auszusetzen. Das erachtete er als dringend erforderlich, um wirtschaftspolitisch handlungsfähig zu bleiben. Finanzminister Lindner jedoch verweigerte eine Zustimmung vehement. Die Folge: Der Ampel-Krach explodiert, die Koalition ist am Ende. Am 15. Januar 2025 will Kanzler Scholz das Misstrauensvotum stellen. Deutschland steht damit vor Neuwahlen.
Wirtschaftswende als Zündstoff: Lindners Vision spaltet die Koalition
War der Bruch gezielt herbeigeführt? Anfang November präsentierte Lindner in einem 18-seitigen Papier seine Pläne für eine ambitionierte "Wirtschaftswende". Doch statt Konsens brachte dieses Papier das endgültige Zerwürfnis. Die von Lindner vorgeschlagenen Reformen stießen bei SPD und Grünen auf heftigen Widerstand. So wurde u.a. angedacht, Spitzenverdiener zu entlasten – und um Gegenzug bei den Rentnern zu kürzen. Die politischen Lager entfernten sich dadurch noch weiter voneinander, schließlich war der Konflikt unüberbrückbar.
Lindner, der die wirtschaftsliberale Haltung seiner Partei im Fokus hatte, war zunehmend isoliert. Nun befindet sich die FDP auch selbst in einer Klemme, denn die Partei liegt seit Monaten in Umfragen nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Insofern steht für Experten in Bezug auf Lindners Vorgehensweise fest: "Er hat sich verzockt", heißt es. Hat Lindner zu hoch gepokert und die Stabilität Deutschlands aufs Spiel gesetzt?
Rückendeckung aus der Partei, scharfe Kritik von außen
Politikberater Maximilian Oehl spart im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau nicht mit Kritik. Er wirft Lindner sogar vor, Parteiinteressen über das Gemeinwohl gestellt zu haben: "Es wird Lindner für immer anhaften, dass er am Tag der Wiederwahl Donald Trumps seine parteipolitische Taktik über die Interessen Deutschlands, Europas und der NATO stellte". Angesichts eines zunehmend unsicheren transatlantischen Bündnisses und einer infolgedessen befürchteten weiteren Eskalation im Ukraine-Konflikt wirkt Lindners Vorgehen hochproblematisch.
Doch der gibt sich kämpferisch und blickt in die Zukunft. Er betont sogar, dass er weiter Finanzminister bleiben will. "Ich trete jetzt für den nächsten Bundestag an", erklärte er in einem Interview mit dem ZDF. Trotz seines abrupten Rauswurfs bleibt Lindner ambitioniert: "Das Ziel ist nicht Opposition, sondern natürlich will ich meine Arbeit in einer nächsten Regierung fortsetzen." Etwas, das auch für CDU-Chef Friedrich Merz, den designierten Kanzlerkandidaten der Union, offenbar eine echte Option ist. Er schloss eine Rückkehr Lindners ins Finanzressort in einer unionsgeführten Regierung jedenfalls nicht aus. Wenn die FDP denn genug Stimmen erhält, um in den Bundestag einzuziehen.
Vom Hoffnungsträger zum „frechsten Arbeitslosen“ Deutschlands?
Der Rücktritt Lindners gerät schnell zum Online-Phänomen: Im Netz kursieren Witze und Häme. Von "Deutschlands frechstem Arbeitslosen" ist da die Rede. Immer wieder wird er als Politiker porträtiert, der über den eigenen Machtwillen gestolpert sei. Die Kritik reißt nicht ab. Auch von früheren Verbündeten wie Volker Wissing, dem bisherigen Verkehrsminister, gibt es wenig bis keine Unterstützung.
Wissing, der zu den Architekten der ungeliebten Ampel-Koalition gehörte, bleibt vorerst weiter im Amt. Er wird weiter der rot-grünen Minderheitsregierung angehören und kehrt damit der FDP den Rücken. Eine Entscheidung, die in der Partei heftig diskutiert und kritisiert wird. Für Lindner dürfte dies auch ein schwerer, persönlicher Schlag sein.
Ungewisse Zukunft für die FDP
Am Morgen nach dem Eklat wirkt Lindner im ZDF-Interview angeschlagen. Er gibt zu: "Mich macht die Situation betroffen.“ Der Preis für seinen Kurs, das gibt er indirekt zu, sei hoch. „Ich habe mich in anderen getäuscht,“ sagt er und deutet damit eine tiefe Enttäuschung über seine ehemaligen Koalitionspartner an. Trotz aller Turbulenzen plant er ein Comeback.
Selbstbewusst verkündet er, er wolle erneut als Spitzenkandidat der FDP antreten und wieder Finanzminister werden. Doch ob ihm das Comeback gelingt, ist fraglich. Nicht nur angesichts der Krise seiner Partei in den Umfragen. Auch die Entwicklung des transatlantischen Bündnisses dürfte hierbei eine Rolle spielen.
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Verwendete Quellen:
RND.de: Merz schließt Lindner-Rückkehr ins Finanzressort nicht aus
Tagesschau.de: Rolle des Ex-Finanzministers: Hat Lindner sich verzockt?
Fr.de: „Hat sich verzockt“: Experten rechnen nach Ampel-Aus mit Lindner ab