Der Held ist allgegenwärtig. In Bildern, in Filmen, in Gedanken. Es sind meist Erinnerungen, denn die Ikone ist seit zehn Jahren verstummt. Dafür hallt - gerade in diesen Tagen - der Mythos seines Namens monumental nach. "Being Michael Schumacher" heißt die fünfteilige Doku-Serie der ARD. Mag sein, dass der Titel etwas irreführend ist, denn die Produktion beschäftigt sich ausschließlich mit Werdegang, Sichtweisen, Beobachtungen und Einschätzungen aus der ferneren Vergangenheit des siebenfachen Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher (54).
Wie es allerdings aktuell ist, Michael Schumacher zu sein, kann nicht beantwortet werden. Das hat auch mit dem Datum der Erstausstrahlung im TV zu tun (im Ersten, 28. Dezember, ab 23:25 Uhr). Das ist der Vorabend des zehnjährigen Jubiläums des Tages, an dem sich die unheilvolle Wende in Schumis Leben ereignete und ein strahlender Siegertyp zum tragischen Helden wurde.
Am 29. Januar 2013 ist Michael Schumacher mit seinem damals 14-jährigen Sohn Mick beim Skifahren in Méribel, einem Wintersportort in den französischen Alpen. Schumi ist ein ausgezeichneter Skifahrer und trägt vorschriftsmäßig einen Helm. Er stürzt bei mäßigem Tempo (ca. 20 km/h) über einen Stein im Schnee und schlägt mit dem Kopf gegen einen weiteren Felsen.
Schumacher wird mit einem Schädel-Hirn-Trauma in eine Klinik nach Grenoble geflogen. Monatelang liegt er im Koma. Seit September 2014 wird er Zuhause in Gland im Schweizer Kanton Waadt betreut.
Jean Todt hält weiterhin Kontakt zu Michael Schumacher
Freunde, Weggefährten und Millionen von Fans nehmen Anteil am Schicksal des ehemaligen Rennfahrers. Die Familie, vor allem seine Ehefrau Corinna (54), sowie professionelle Betreuer wie Ärzte, Pfleger und Physiotherapeuten kümmern sich um den Patienten - und schirmen ihn vor der Öffentlichkeit ab. Über seinen Zustand dringt so gut wie nichts nach außen.
Jean Todt, der ehemalige Ferrari-Rennleiter von Ferrari und ein enger Freund der Familie, ist einer der wenigen, die engen Kontakt zu den Schumachers haben. Auch er hält sich mit Informationen über Schumis Gesundheitszustand zurück. Nach seinem letzten Besuch sagte er der Sportzeitung L'Équipe: "Er ist anders und wird von seiner Frau und seinen Kindern wunderbar beschützt... Ich habe das Privileg, Momente mit ihm teilen zu dürfen. Das ist alles, was es zu sagen gibt. Leider hat ihn das Schicksal vor zehn Jahren getroffen, und er ist nicht mehr der Michael, den man aus der Formel 1 kannte."
Der Schumacher-Anwalt Felix Damm erklärte im Rechts-Portal Legal Tribune Online (LTO): "Wir haben auch mal überlegt, ob eine finale Meldung über den Gesundheitszustand der richtige Weg sein könnte. Doch danach wäre ja nicht Schluss gewesen und es hätten dann permanent aktualisierte Wasserstandsmeldungen erfolgen müssen."
Diese Abschottung dürfte ganz im Sinne des Patienten sein. Für Michael Schumacher hatte der Schutz der Familie und seines Privatlebens stets oberste Priorität. Damm glaubt, "dass die allermeisten Fans gut damit umgehen können", nicht genau zu wissen, wie es Schumi gehe.
Journalisten versuchten sich Zugang zu verschaffen
Außerdem gibt es für das eiserne Stillschweigen der Familie noch einen anderen triftigen Grund: Nach dem Sturz von Méribel ist bei einigen wenigen Journalisten ein regelrechtes Jagdfieber ausgebrochen. Mehrfach versuchten Reporter - mal als Arzt verkleidet, mal als Polizist und als Priester - an das Krankenbett des komatösen Schumachers zu gelangen. Einer gab sich sogar als Schumachers Vater aus.
Mit solchen miesen Tricks wurde bei der ARD-Doku "Being Michael Schumacher" nicht gearbeitet. Der erfahrene Sportreporter Andreas Troll vom Bayerischen Rundfunk verfügt über erstklassiges Interview- und Filmmaterial und hat die Renn-Legende seit Jahrzehnten begleitet bzw. beobachtet. In 155 Minuten erzählen die fünf Teile vom Werdegang, dem Berufsleben, von Erfolgen und Misserfolgen, auch Eigenarten und dem Charakter des deutschen Formel-1-Helden.
Geschildert wird ein rasantes Leben mit Höhen - und Tiefen. Der Vater Rolf Schumacher (74) kommt zu Wort, der jüngere Bruder (und ebenfalls ehemaliger Formel-1-Pilot) Ralf Schumacher (48) ebenfalls, auch Freunde und Kollegen. Und viele Fans, die auch zehn Jahre nach dem Sturz von Méribel das bittere Schicksal ihres Idols noch immer nicht fassen können.
Die ARD-Doku ist nicht zu einer Jubelarie geraten, Andreas Troll skizziert auch den Widerspruch zwischen dem ehrgeizigen, auf Perfektion bedachten Rennroboter Schumacher und dem bodenständigen, warmherzigen Privatmann.
Michael Schumacher: Irgendwie fährt er immer noch mit
Sein Freund und Kollege David Coulthard sagt harte, aber ehrliche Worte: "Er konnte sehr rücksichtslos, unnahbar, eiskalt sein. Wahrscheinlich muss man auf diesem Level so sein, wenn man diesen Erfolg haben möchte", sagte der Ex-Rivale und schildert auch die andere Seite: "Außerhalb des Fahrerlagers war er ein lustiger Mensch, der sehr gerne Spaß hatte. Ich bin wirklich froh, diese Seite von Michael kennengelernt zu habe. Denn sonst bleibt nur der Seriensieger, der manchmal auch sehr kontrovers war."
Das war der Schumi, der rücksichtslos gegen die Konkurrenz fuhr und andererseits seine Rennteams mit Schnitzeln von Mutter Elisabeth versorgte. Der im Job brutal, misstrauisch und starrsinnig sein konnte, aber bei Liebesfilmen wie "Pretty Woman" weinte oder für die Tsunami-Opfer von 2004 zehn Millionen Dollar spendete.
Zehn Jahre sind seit dem Skiunfall vergangen. Mittlerweile hat Sohn Mick Schumacher (24) sein Debüt in der Formel 1 gegeben. Sein großes Vorbild ist aus der Öffentlichkeit verschwunden - und trotzdem immer noch da: Seine Nachfolger als Seriensieger, Lewis Hamilton und Max Verstappen, fahren nicht nur gegen die aktuelle Konkurrenz, sondern auch weiterhin gegen die Rekorde von Michael Schumacher. Irgendwie fährt er immer noch mit.